Hallo liebe Gäste und MieterInnen von Sex-Bijou,
Nun ist das unglaubliche Szenario eingetroffen und unsere Türen sind geschlossen, wir alle müssen zuhause bleiben. Heute ist es klar, dass wahrscheinlich werden die Massnahmen gegen die Verbreitung von Corona Virus noch länger anhalten als bis 19.4. Es ist eine schwierige Zeit, aber ich bleibe positiv. In den letzten Zeiten hat Sex-Bijou grosse Popularität bei Frauen und einen guten Ruf bei Gästen genossen und es gibt gute Gründe zur Hoffnung, dass nach der Krise werden wir schnell wieder normalen Betrieb aufnehmen können.
Bis jetzt habe ich die Profile der Frauen auf dem Stand von 16.2.2020 gelassen, damit es nicht so trist und leer ausschaut. Aber ich dachte es wäre noch eine gute Idee jetzt die Profile von Frauen zu veröffentlichen die bereits Reservationen im Mai haben, so können unsere Gäste mindestens ein bisschen Vorfreude geniessen.
Wie ihr wisst habe ich am 17.2. in Cosmos in Zürich mit 2 weiteren Kolleginnen aus der Branche an einer Podiumsdiskussion teilgenommen. Für Alle die es gerne anhören möchten teile ich hier den Link.
https://www.facebook.com/kosmoszuerich/videos/3522215327848491/
https://www.republik.ch/2020/02/19/es-ist-nicht-so-dass-jeder-ein-recht-auf-sex-hat?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=republik%2Fnewsletter-editorial-nl-19-01-2020
Und ein bisschen später hatte ich ein Interview mit Tages Anzeiger. Der Artikel wurde auf der Titelseite veröffentlich, viele haben es sicherlich bereits gelesen, aber vielleicht auch einige verpasst und hätten trotzdem Interesse. Leider kann man es nicht mehr online abrufen, jedoch ich habe den Text per E-Mail bekommen, somit füge ich ihn hier an.
Ich wünsche Allen gute Gesundheit und möglichst gute Laune in dieser Krise und bis zum nächsten Update
Eure Clementine
Verfasst von Kevin Brühlman, TagesAnzeiger
Ein bisschen Weisswein?, fragt Clementine, sie steht ihrer grossen Küche. Die lähmende Trägheit eines späten Nachmittags im Februar liegt über dem Zürcher Oberland.
Unter Clementine, ein Stockwerk tiefer, in einem kleinen Zimmer mit roter Tapete, sucht ein junger Mann für ein paar Hundert Franken nach dem schnellen Glück. Man hat sehen können, wie er mit seinem silbernen Opel hergefahren war und zum Hintereingang eilte, wo ihn eine fröhliche Frau empfing.
Clementine prostet uns zu, und wie wir den ersten Schluck nehmen, bilden wir uns ein, den Orgasmus des Opelfahrers zu hören. Clementine lacht, und ihr rotes Haar tanzt. Man nennt sie «Puffmutter», sie selber mag die Bezeichnung nicht, Bordellbetreiberin schon eher. In der Steuererklärung gibt sie «Geschäftsfrau» als Beruf an.
Ihr Haus schmiegt sich ein wenig einsam an eine Kantonsstrasse. Dahinter befindet sich ein grosser Parkplatz, rundherum vom Winter ausgebleichte Hügel.
Clementine führt uns ins Wohnzimmer, wo wir uns auf ein schwarzes Ledersofa setzen. An einer Wand hängt ein Bild von HR Giger, dem Propheten der Düsternis, Tod und Verderben. Clementine zündet sich eine Zigarette an und beginnt zu erzählen. Wie sie vor 20 Jahren Prostituierte wurde, wie sie es gerne blieb, bis heute, mit 39 Jahren, und warum es Zeit ist, dass man sie und ihre Berufskolleginnen endlich vom Dreck befreit, mit dem sie die Gesellschaft bewirft.
«Es wäre ein grosser Fehler, Prostitution zu verbieten», sagt Clementine. «Im Gegenteil, es gehört zur Selbstbestimmung der Frau.»
Die Boxerin, die Tänzerin
Manchmal erinnert Clementine an eine Boxerin, man sollte ihr nicht im Weg stehen, und wenn sie vorbei gezogen ist, bleibt ein Rauschen in den Ohren.
Und manchmal gleicht Clementine einer Tänzerin, leichtfüssig und witzig, Schritt um Schritt über die Verachtung der Welt.
Zum ersten Mal erkennen wir das an einem Montagabend Mitte Februar. Im Kosmos in Zürich ist Clementine ist zu Gast bei einer Diskussion über Sexarbeit, organisiert vom Online-Magazin «Republik».
Clementine unterhält den ganzen Saal. «Es heisst immer, die Frauen müssten zwischen achtzehn und fünfunddreissig sein», sagt sie. «Ach was! Diejenigen ab fünfunddreissig können ja erst etwas.»
Oder: «Der Vorwurf der Ausbeutung kommt immer wieder auf. Ich schwöre euch, meine Frauen können sich jeden Tag Lammrippchen und guten Weisswein leisten. Manche fahren sogar einen Mercedes.»
Nach der Diskussion dürfen Leute aus dem Publikum Fragen stellen. Eine Frau steht auf, ihre Stimme ist eiskalt, als sie sagt: «Ich bin aus Deutschland, 47 Jahre alt. Zwischen 17 und 32 war ich eine Prostituierte. Es war nie Arbeit für mich. Es hat sich immer, und zwar ausnahmslos, wie eine Vergewaltigung angefühlt.»
Clementine, die Boxerin, bringt sich in Stellung. «Ich höre hier jemanden mit einer akuten Opferhaltung», sagt sie. «Man kann deswegen nicht die ganze Gesellschaft verurteilen. Wenn jemand so ein Opfer ist wie Sie, wird man vermutlich auch Täter anziehen.»
Eine zweite Frau erhebt sich. «Ich heisse Isabella und komme aus Rumänien», beginnt sie. Sie richtet sich an Clementine, man hört Tränen in ihrer Stimme: «Als ich als Prostituierte gearbeitet habe, dachte ich wie Sie. Erst als ich aufhörte, bemerkte ich einen gewaltigen Schaden in mir. Seit Jahren gehe ich deswegen zur Therapie. Sex ist keine Arbeit, denn Sex basiert auf gegenseitiger Anziehung.»
Zum Schluss meldet sich eine dritte Frau mit französischem Akzent: «Mein Name ist Claudine. Ich bin auch ein Opfer. Ich war 17, als ich anfing. Ich frage mich, wie man das geniessen kann. Es war so wahnsinnig schrecklich, ich hatte immer eine trockene Scheide. Mein Leben lang schon gehe ich zur Therapie.»
Nach der Diskussion leert sich der Saal, in der dicken Luft bleiben Fragen hängen. Kann Prostitution überhaupt würdig sein, in einer Sexindustrie voller Gangster? Zementiert man damit nicht ein uraltes Modell – der Mann nimmt und bestimmt, die Frau gibt und folgt?
Polen: Wo alles begann
«Ich fing absolut freiwillig an», sagt Clementine, wie sie auf ihrem schwarzen Sofa sitzt. HR Gigers Totenkopf schaut ihr beim Rauchen zu. «Freiwilligkeit ist zwingend», wiederholt sie. «Man muss Intimität und seinen Körper mögen. Es ist auch ein sozialer Beruf, vergleichbar mit einer Therapeutin.»
Clementine wuchs im weissrussischen Brest auf, direkt an der Grenze zu Polen; da hiess sie noch Svetlana. Ihr Vater war ein Künstler («narzisstisch und untreu»), die Mutter eine Verkäuferin («sie war labil und starb früh»). Die Schule schloss Clementine mit Auszeichnung ab, worauf sie begann, Wirtschaft zu studieren, was sie aber bald abbrach. «Der Kommunismus war zusammengestürzt. Es herrschten Ghettoverhältnisse, alles stand Kopf, eine gute Ausbildung bot keine Garantie für ein anständiges Leben», erzählt sie.
Noch ein bisschen Wein?, fragt Clementine zwischendurch. Der Aschenbecher füllt sich, und HR Giger lächelt im Grab.
«Mit 15 hatte ich meinen ersten Sex», fährt Clementine fort. «Ich fand das unglaublich angenehm. Und ich war aufmüpfig. Warum, fragte ich mich, dürfen Männer Sex haben und Frauen nicht? Als ich 18 wurde, ging ich nach Polen. Mit zwei Freundinnen gründete ich eine sogenannte Freundschaftsagentur», Clementine lacht, eigentlich war Prostitution in Polen verboten, gemacht wurde es trotzdem, daher der merkwürdige Name, «das war ein tolles Abenteuer.»
Sie lernte den 22 Jahre älteren Georg kennen, einen Unternehmensberater («hochintelligent, aber ein Sonderling»). Sie zogen in die Schweiz und heirateten. Sie begleitete ihn an alle Geschäftsanlässe, Farbe im Umzug der dunklen Anzüge, und sie lernte Deutsch und die Sprache des Geldes. Nach fünf Jahren liess sie sich scheiden, sie wollte noch mehr sehen vom Leben. Während einiger Zeit arbeitete sie in Bars, als Croupier in einem Casino und als Dolmetscherin. Dann, mit 27, beschloss sie, sich selbstständig zu machen.
Als die Gläser wieder leer sind, führt uns Clementine in ihr Arbeitszimmer. Durch die Vorhänge fällt schwaches Licht auf die türkisfarbenen Wände, an einem Haken hängt eine Peitsche aus Leder, und auf einem Nachttisch liegt ein Dutzend Dildos in allen Farben und Formen.
«Sex Bijou» heisst ihr Betrieb. An zehn Orten – verteilt im Zürcher Oberland, Thurgau, in Schwyz, St. Gallen und Graubünden – vermietet sie 20 Zimmer an Frauen und Transsexuelle. Sie sind zwischen 18 und 63 Jahre alt. Fast alle kommen aus dem EU-Raum, Clementine organisiert die Bewilligungen, und die Polizei führt regelmässig Kontrollen durch. Die Frauen bestimmen selber, wie viel sie arbeiten. Üblicherweise bleiben sie zwei bis drei Wochen. Im Durchschnitt verdiene eine Frau 2000 Franken pro Woche, sagt Clementine, die Miete schon abgezogen.
Auf der Webseite hat Clementine eine Ethik-Charta aufgeschaltet. «Nur geschützter Verkehr ist zugelassen», heisst es darin, «es findet kein Anreiz zum Alkohol- und Betäubungsmittelkonsum statt», und «die Sexarbeiterinnen und -arbeiter können ihre Tätigkeit jederzeit und ohne Angabe von Gründen beenden».
«15000 pro Monat»
«Hi», ertönt eine helle Stimme vom Eingang zum Wohnzimmer. Im Türrahmen steht Leonie, Mitte dreissig, lange blonde Haare und Stiefel, die bis zu den Knien reichen. «Darf ich mich dazusetzen?»
Leonie, die wie ein Schnellzug redet, stammt aus Deutschland, seit zwei Tagen hat sie ein Zimmer bei Clementine gemietet. «Das ist der perfekte Job für mich», sagt sie. «Das Schlimme ist aber die Verurteilung von aussen. Man gilt als Unfrau. Immer höre ich die Frage: Hast du nichts gelernt? Doch, habe ich, nach dem Psychologiestudium führte ich eine eigene Praxis. Aber als Prostituierte verdiene ich mehr, 9000 bis 15000 Franken pro Monat. Und ich bin viel flexibler.»
Wir fragen Leonie, ob sie vielleicht die negativen Seiten ausblende, und sie sagt, Nein, sie könne ja immer ablehnen, wenn sie keine Lust habe. «Sicher sind nicht alle Männer angenehm. Manche finde ich nicht attraktiv. Dann suche ich etwas, das mir gefällt, ein Detail, schöne Ohren zum Beispiel, und konzentriere mich darauf. Aber in welchem Job trifft man immer nur auf Traumkunden?»
Leonies Handy klingelt. «Das ist meine Lieferung», sagt sie. Lieferung, wir runzeln die Stirn, das Codewort für einen Freier? «Nee, ich habe ein Bett bestellt. Tschüss, hat mich gefreut.»
Der Mafiaboss
Wir folgen Clementine zurück in die Küche, wo sie eine neue Flasche Wein aus dem Kühlschrank holt. Und ein paar Pralinen. Am Heizkörper sind Rechnungen mit Magneten befestigt, Steuern, Miete, Kehrichtgebühr. Wir kommen aufs Geld zu sprechen. «In der Erotikbranche bekommt man keinen Kredit von der Bank», sagt Clementine, «und meinen ausländischen Mädchen dürfen nicht mal ein Konto eröffnen. Denn Prostitution gilt als Schandgeld. Einmal wurde einem Mädchen die Handtasche im Zug geraubt, darin hatte sie ihren ganzen Monatsverdienst, 8000 Franken.»
Und so würden dubiose Menschen angelockt, wie zum Beispiel ihr Ex-Freund (sie nennt ihn bloss «Mafiaboss»). «Er gab sich als Doktor Jura aus», sagt Clementine, «aber er war ein Haifisch in einem Smoking.»
Er habe sich ins Geschäft eingemischt, Geld versprochen, sie über den Tisch gezogen; vor drei Jahren schickte sie ihn zum Teufel. «Mir blieben 200’000 Franken Schulden», sagt Clementine recht belustigt, «die habe ich zwar abbezahlt, aber deshalb bin ich noch nicht reich.»
«Sie wollen mich verneinen»
«Schau», sagt Clementine und zündet sich eine letzte Zigarette an. Draussen regiert die Dunkelheit des Winters,. «Als ich an der Diskussion sagte, die Frau argumentiere aus einer Opferhaltung, wollte ich ihr nicht die Schuld an ihrem Leid geben. Selbstverständlich finde ich Gewalt, Zwang und Zuhälterei schlimm.»
Worauf will sie hinaus? «Das Problem ist die Scham, die Angst, von der Gesellschaft verachtet zu werden», sagt Clementine. «Das kann traumatische Auswirkungen haben. Man kann in eine Opferhaltung rutschen. Und aus dieser Verletzung entsteht eine aggressive Abwehr, die traumatisierten Frauen werden vielleicht sogar selber zu einer Art Täterinnen: Sie wollen mich als Bordellchefin und Prostituierte verneinen, sie sagen, ich sei nicht mündig, nicht urteilsfähig. Sie wollen meine Gäste kriminalisieren.»
Und wo liegt die Lösung? «In der Entstigmatisierung von Prostitution. Der Grund, warum Prostituierte verachtet werden, ist immer noch gleich wie vor 1000 Jahren. Damals war es gefährlich. Es gab keine Kondome und kein Penicillin. Man steckte sich mit Syphilis an. Heute finde ich: Je höher die gesellschaftliche Akzeptanz, desto freier sind die Frauen in der Entscheidung, ob sie wirklich in diesem Beruf arbeiten wollen. Ich bin», Clementine lächelt verwegen, «für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Alle sollen den Job machen, den sie wollen.»